Zur altösterreichischen Grenze in Montenegro

 

Montenegro/Crna Gora bietet einem/r Reisenden auf engem Raum viel beeindruckende Gebirgs- und Küstenlandschaft. Der Kleinstaat ist seit einem Referendum im Jahr 2006 unabhängig und teilt seine Landgrenze mit fünf Nachbarstaaten  - Kroatien, Bosnien und Herzegowina, Serbien, dem Kosovo und Albanien.

Für einen historischen Österreichbezug sind die rund hundert Jahre von 1814 bis 1918 verantwortlich. Im Wiener Kongress wurden Österreich-Ungarn - wie schon 1797 - die ehemaligen venezianischen Besitzungen an der östlichen Adria zugesprochen. Mit dem neuen Kronland „Dalmatien“ entstand auch eine direkte Grenze zum damaligen Fürstbistum Montenegro, das 1852 zum Fürstentum und 1910 zum Königreich mutierte.

Quelle: Historischer Weltatlas, Wien 1981
Quelle: Historischer Weltatlas, Wien 1981

Franz.-Josephin.Landesaufn. (c) mapire.eu
Franz.-Josephin.Landesaufn. (c) mapire.eu

Die erste Phase der Grenzbereinigung dauerte bis 1841, wobei besonders die Abtretung zweier Klöster nahe dem Küstenort Budua an die Österreicher umstritten war. Gebietsgewinne auf Kosten der Osmanen nach dem Berliner Kongress von 1878 brachten dem Gebirgsstaat dann beim Hafen Antivari (heute Bar) erstmals einen Meereszugang. Der Fluss Železnica wurde dadurch auf ca. 42,1 Grad nördlicher Breite zur südlichsten Randlinie der k.u.k.Monarchie.

Seit 1976 liegt unweit der Flussmündung in die Adria der Endbahnhof der spektakulären Eisenbahnlinie zwischen Belgrad und Bar, die mit 25 Jahren Bauzeit und jeweils rund 400 Tunnels bzw. Brücken das größte und teuerste Projekt der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien war.


Zurück ins 19. Jahrhundert: Zentren des schmalen dalmatinischen Ausläufers waren die alten venezianischen Küstenorte Budua und Cattaro, heute als Budva und Kotor touristische Hotspots. Die geographische Lage des Gebietes bestimmte - wie schon Jahrhunderte vorher - seine militärische Bedeutung: Cattaro wurde zum zweitgrößten Kriegshafen des Habsburgerreichs ausgebaut, dementsprechend findet sich auch sein Wappen an der Fassade des zwischen 1906 bis 1908 für die Marinesektion des k.u.k. Kriegsministeriums errichteten Gebäudes in Wien-Landstraße [3].

Der Hafenort wurde von einem Gürtel von Festungen umgeben, die neuerdings wieder Beachtung finden. So initiierte das montenegrinische Kulturministerium vor wenigen Jahren ein Kooperationsprojekt zur wissenschaftlichen Aufarbeitung dieser Anlagen. Als eines der - auch touristisch motivierten - Ergebnisse finden sich ausführliche Informationstafeln an den diversen Standorten.

[3] ehem. Marinegebäude in Wien III.
[3] ehem. Marinegebäude in Wien III.

Kosmač, die südlichste erhaltene Festung des Habsburgerreichs, wurde 1858 errichtet. Sie liegt 800 Meter über Budva, dessen Zitadelle - wie die Inschrift zeigt - bereits seit 1836 bestand [4]. Direkt über der „Boka Kotorska“, den früheren „Bocche di Cattaro“, finden sich die Reste der aus den 1880er und 1890er-Jahren stammenden Festungen Vrmač [5] und Goražda.

Letztere diente speziell der Kontrolle der Straße von Kotor entlang der Abhänge des karstigen Lovćen nach Cetinje. Diese Anfang der 1880er Jahre von Österreich-Ungarn erbaute Verbindung war trotz ihres ursprünglich militärischen Zwecks ein wichtiger Impuls für die Infrastruktur Montenegros. Zuvor konnte man das Hinterland vom Meer aus nur über beschwerliche Saumpfade erreichen. Wie jener auf den Vrmač, der vom k.u.k-Militär errichtet wurde und noch heute an Kaiser Franz Joseph erinnert ("Staza Franjo-Josip"), sind sie mittlerweile beliebte Wanderrouten. Von dort aus bieten sich ähnlich grandiose Ausblicke auf die Buchten wie von der „Kunststraße“, die mit Hilfe von 25 Serpentinen fast tausend Höhenmeter überwindet [6, 7,8].  

Bauliche Reste der ehemaligen österreichisch-montenegrinischen Grenze ("bivša austrougarska granica") finden sich bei N 42.423 | 18.795 O am Fußweg unterhalb des Krstac-Passes sowie bei der 13. Straßenserpentine (N 42.402 | 18.779 O). Hier auf etwa 900 Metern Seehöhe befand sich seinerzeit ein Zoll- und Gendarmeriegebäude [9, 10]. Im Jahr 1884 passierte Rudolf, der Sohn des Kaisers Franz Joseph I., auf seiner zweiten Orientreise diese Straße - das Ereignis wurde natürlich für die Nachwelt dokumentiert [11]. Ein Streckenabschnitt hat die Form eines „M“, angeblich als Hommage an die Frau des Architekten Josip Slade-Šilović, der auch zahlreiche öffentliche Gebäude entwarf. Dazu zählt die 1899 errichtete Botschaft Österreich-Ungarns in Cetinje [12].

[13] Lovćen mit Njegoš-Mausoleum
[13] Lovćen mit Njegoš-Mausoleum

Die alte montenegrinische Hauptstadt wird - ebenso wie Budva und Kotor - vom schon erwähnten, über 1700 Meter hohen „Heiligen Berg“ Lovćen überragt. Auf einem seiner Gipfel wurde im höchstgelegenen Musoleum der Welt der 1851 verstorbene Fürstbischof und Dichter Petar II. Petrovic, genannt Njegoš, bestattet [13,14]. Er gilt als jener Regent, der die verschiedenen Stämme durch staatliche Strukturen vereinigte. Dazu gehörten auch Ansätze zu einem modernen Bildungs- und Steuersystem. 

[14] Njegoš-Denkmal in Podgorica
[14] Njegoš-Denkmal in Podgorica

Seine Ende der 1830er Jahre in Cetinje erbaute Residenz "Biljarda" hat ihren Namen nach einem Billardtisch, den er über einen der steilen Fußpfade von Kotor hierher bringen ließ... Als Dichter ist Njegoš vor allem für sein Nationalepos „Der Bergkranz“ bekannt, das die Auseinandersetzungen zwischen der orthodoxen und der muslimischen Bevölkerung schildert und erstmals 1847 in Wien verlegt wurde.

Im ersten Weltkrieg war der Lovćen für das montenegrinische Militär ein optimaler Beobachtungs- und Angriffspunkt. Als den habsburgischen Truppen Anfang 1916 trotzdem die Eroberung des Berges gelang, war das der Auftakt für die Besetzung des ganzen Königreichs. Bereits zum nächstfolgenden Kaiser-Geburtstag erschien auf deutsch und kroatisch die erste Nummer einer ‚Cetinjer Zeitung’ [15]. Eineinhalb Jahre später kam es jedoch auf den österreichisch-ungarischen Kriegsschiffen im Hafen von Cattaro zum berühmten Matrosenaufstand - ein Indikator für das baldige Kriegsende, mit dem auch die historische Grenze zwischen Montenegro und Österreich verschwinden sollte. 

Der Publizist Milovan Djilas, gebürtiger Montenegriner und langjähriger, später inhaftierter, schließlich begnadigter Weggefährte Josip Broz Titos, stellt in seiner Njegoš-Biographie fest: „Montenegro entwickelte sich durch die täglichen administrativen und politischen Geschäfte mit Österreich zum Staat“.

Wenn er damit recht hat, so ist das kein so schlechtes Resume aus einem Jahrhundert verordneter Nachbarschaft...

[15] (c) ONB-ANNO
[15] (c) ONB-ANNO

 

(c) Text und Fotos (sofern keine andere Angabe) Manfred Pregartbauer, Juli 2023