Rund um den Leopoldsberg

Blick auf den Leopoldsberg vom Südosten, (c) Gem. Wien, MA18/Christian Fürthner


Grenzverlauf 1904 und 2021; (c) Wien Kulturgut, Generalstadtplan 1904 Geokoordinaten 2021: N 48.281 | O 16.334 -  N 48.285 | O 16.345
Grenzverlauf 1904 und 2021; (c) Wien Kulturgut, Generalstadtplan 1904 Geokoordinaten 2021: N 48.281 | O 16.334 - N 48.285 | O 16.345

Die Legende um den  Schleier der Markgräfin Agnes macht den Leopoldsberg für die Klosterneuburger*innen zu einem besonderen Ort. 

An seinem Übergang zum Kahlenberg liegt die Elisabethwiese mit der traditionellen Josefinenhütte und neuzeitlichen Freizeitparks für Hochseil- und Bogenschussfreunde. Gleich bei der Abzweigung der Höhenstraße nach Klosterneuburg verkünden die obligate Niederösterreich-Säule und die Klosterneuburger 'Willkommenstafel' [1], dass hier die Landes- und Gemeindegrenze quert. In der abstrakteren Welt der Katastralgemeinden wird gar ein vierfacher Kreuzungspunkt passiert: auf der Klosterneuburger Seite geht Weidling in Klosterneuburg Stadt über, auf der Wiener Seite Josefsdorf in Kahlenbergerdorf. 

Weiter in halblinker Richtung, beim Grenzstein GW (= Gemeinde Wien) Nr. 245 aus dem Stadterweiterungsjahr 1891 [2], kann man sich mit etwas historischer Phantasie die Bergstation der ehemaligen Drahtseilbahn samt Kesselhaus und Schlot vorstellen ! Zeitgenössische Fotografien zeigen eine großzügige Anlage, die ihre talseitige Einsteigstelle neben der Station 'Donauwarte' der seit 1870 hier verkehrenden Franz-Josef-Bahn hatte [3]. Eine Schiffsanlegestelle machte schließlich den Verkehrsknotenpunkt komplett. Die Seilbahn beförderte nach ihrer Eröffnung Ende Juli 1873 in den ersten Monaten bis Mitte November 300.000 (!) Personen: zwei zweigeschoßige Waggons für je 100 Personen legten in jeder Richtung eine Strecke von 730 Metern Länge rund 250 Höhenmeter zurück. Ein Erdrutsch im März 1876 und der Konkurrenzdruck durch die 1874 eröffnete Zahnradbahn auf den Kahlenberg bedeuteten allerdings schon nach dem dritten Betriebsjahr das unrühmliche Ende. Heute wären nicht nur Bahnnostalgiker froh über eine solche - entsprechend modernisierte  - umweltfreundliche Lösung für den Freizeitverkehr auf den Kahlenberg !  

Die Gemeindegrenze folgt nun talwärts der seinerzeitigen Bahntrasse und trifft dabei immer wieder auf bauliche oder geländemäßige Relikte dieser Standseilbahn [4]. Es sind auch einige Steine mit den Aufschriften ‚StK‘ (=Stift Klosterneuburg) bzw. ‚BG‘ (=Bahngesellschaft) auffindbar [5]; das sind zwar keine offiziellen Gemeinde-Grenzsteine, aber dennoch geschichtsträchtige Markierungen. Der steile Grenzgraben, den vor allem risikofreudige Mountainbikerinnen schätzen, wird schließlich an der Wienerstraße von Ortstafel und Landessäule gemeinsam empfangen. Zuvor verwirren noch einige neuere ‚GW’-Steine, da sie von der Grenzlinie wegführen.

Die Direttissima vom Sattel zwischen Kahlenberg und Leopoldsberg ins Tal [6] ist für diesen Grenzabschnitt nichts Neues: 1820 verlief er gemäß dem Franziszeischen Kataster noch etwas weiter nördlich, begann oben beim ‚Seitweg‘ und führte unterhalb der Rieden Riesen, Marchgasse (Nomen est Omen !) und Geige etwa im Bereich des heutigen Kammerjochs bis zur Wienerstraße. Eine ‚Gräntz-Beschreibung‘ von 1785-1787 aus dem Stadtarchiv Klosterneuburg lokalisierte die Grenze ähnlich, nur dass sie zwischen dem ‚Marchgassenthierl’ und der ‚Geig‘ auch noch das ‚Hochgericht’, also die Richtstätte berührte.

Ab dem 1.Jänner 1892 nahm die Grenze jedoch mehr als ein halbes Jahrhundert lang einen Umweg und führte vom Grenzstein GW Nr. 246/1891 auf halber Höhe schräg über den Ostabhang des Leopoldsbergs [7] bis zum Grenzstein GW Nr. 1/1891 im Kahlenbergerdorf nahe dem Einstieg in den 'Nasenweg'. Vom gegenüberliegenden Stein GW Nr. 2/1891 ging es dann entlang der Wien-Klosterneuburger Straße wieder bis zur Donauwarte. Leider sind diese beiden Grenzsteine in der Natur dem 'Zahn der Zeit' zum Opfer gefallen. Das gilt auch für den 246-er Stein, der dafür aber explizit in einem Bundesverfassungsgesetz verewigt ist: nach dem nationalsozialistischen Experiment mit ‚Groß-Wien‘ wurde die Rückführung der Grenzen zwischen den Bundesländern Niederösterreich und Wien im 'Gebietsänderungsgesetz' von 1946 geregelt. Dabei wurde - mit diesem Stein als Referenzpunkt - eine Ausnahme zum früheren Grenzverlauf festgeschrieben: der nördliche Teil des Kuchelauer Hafens, seit Errichtung bei Klosterneuburg und daher 1938 mit eingebracht, verblieb auch nach dem Wirksamwerden des Gesetzes im Jahr 1954 bei Wien. 

Die Verlegung der Grenze bis ins Kahlenbergerdorf war Teil einer großen territorialen Veränderung der Reichshaupt- und Residenzstadt gewesen, nämlich der Eingemeindung der Vororte durch kaiserliche Sanktion vom 19.Dezember 1890. Die Absicht, in diesem Zusammenhang die westliche Stadtgrenze mit der Höhenlinie des Wienerwalds zur Deckung zu bringen, führte zum Tausch zahlreicher Grundstücke zwischen den benachbarten Gemeinden. Im Klosterneuburger Stadtarchiv finden sich z.B. die ‚aus der ehemaligen Gemeinde Kahlenbergerdorf ausgeschiedenen und der Katastralgemeinde Klosterneuburg zugewiesenen Liegenschaften‘ im Detail aufgelistet, hier gab es offenbar nur in einer Richtung Veränderungen.


Mit der Stadterweiterung eng verbunden war die Ausdehnung des Wiener Verzehrungssteuerrayons, also des Geltungsbereichs für die 1829 geschaffene, indirekte Konsumsteuer.  Dieser ‚Binnenzoll‘ wurde ursprünglich an den ‚Linienämtern‘  entlang des ehemaligen Linienwalls - und späteren Gürtels - eingehoben, wodurch dieser von einer fortifikatorischen zu einer fiskalischen Grenze umfunktioniert worden war. Als neuer Grenzort benötigte das Kahlenbergerdorf nun ein Linienamt ‚der zweiten Generation’ [8], das termingerecht am 1.Oktober 1891 fertiggestellt wurde und Raum für die Angehörigen der Finanzwache - im Volksmund ‚Spinatwachter’ genannt - sowie der Sicherheitswache bot. Eine Expositur befand sich im Stationsgebäude der Franz-Josefs-Bahn, eine weitere entlang der ‚Grünen Grenze‘ oben bei der Elisabethwiese. Dort befand sich auch eine der drei Rayonsäulen mit der Aufschrift ‚K.k. Verzehrungssteuer-Rayon’, die zusätzlich zu den Grenzsteinen die politische Grenze zwischen Klosterneuburg und der ehemaligen Gemeinde Kahlenbergerdorf markierten. 

In der Besatzungszeit nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs traf auf der Höhe des Linienamts  die amerikanische auf die russische Zone [9]. Das Gebäude steht heute, hundert Jahre nach der Abschaffung der Verzehrsteuer am 1. Dezember 1921, noch immer, wenn auch nicht gerade in einladendem Zustand. Das Ziegelgebäude daneben ist noch ein Relikt des 'Dritten Reichs', es sollte als 'Gleichrichterunterwerk' für die 1942 begonnene, aber nicht fertiggestellte elektrische O-Bus-Verbindung von Wien-Heiligenstadt nach Klosterneuburg dienen.

Jegliche Spur fehlt jedoch von den gusseisernen Rayonsäulen. Dafür steht an den ersten Stufen des ‚Nasenwegs' eine auffällige Steinsäule mit einem kugelförmigem Abschluss [10]. Sie verweist auf die Neugestaltung dieses Anstiegs zum Leopoldsberg im Jahr 1936 und die damalige Ausstattung der Wiener Ausfallstraßen mit markanten Grenzsäulen. Die darauf aufgebrachten Symbole des Ständestaates, das Stadtwappen und die Aufschrift ‚Gebiet der bundesunmittelbaren Stadt Wien 1936’, wurden von den Nationalsozialisten erwartungsgemäß entfernt. Fünfzehn Jahre später erfolgte die erwähnte Wiederverlegung der Stadt- und Landesgrenze zur Donauwarte. Weiters machte das steigende Verkehrsaufkommen den Ausbau der Straße notwendig, was 1973 zur Errichtung der - mittlerweile sanierungsbedürftigen - Heiligenstädter Hangbrücke führte. In diesem veränderten Umfeld nimmt die Säule heute eine eher sinnbefreite Position ein.

Grenzstein N 48.276 | O 16.355
Grenzstein N 48.276 | O 16.355

Gleich hinter dem barocken Weingartentor fällt jedoch - etwas aus dem Lot geraten - ein prächtiger historischen Grenzstein auf: die Aufschrift CVI unter einer Krone deutet auf Kaiser Karl VI. hin, der nicht nur Schloss und Kirche auf dem Leopoldsberg ausbauen ließ, sondern sich auch direkt mit den ‚Kaltenbergern’ befasste, indem er ihnen z.B. im Jahr 1721 schriftlich die Instandsetzung der Hauptstraße anordnete. Das war durchaus weitblickend, denn wenige Jahre später begann auf Anordnung des architekturaffinen Kaisers der Ausbau des Klosterneuburger Stifts zum ‚Österreichischen Escorial‘...

Der Stein begrenzte entweder einen kaiserlichen Wildgarten entlang des Waldbachsteiges oder das ‚Musikantengehege’, ein großes, kaiserliches Jagdgebiet zwischen Döbling und dem Kahlenbergerdorf, für das  die Mitglieder der Wiener Hofmusikkapelle seit den Zeiten Karls VI. im Genuss einer speziellen  Jagdkonzession waren…


Weitere historische Daten und Fakten zum Kahlenbergerdorf in großer Fülle bietet der rührige Verein der 'Freunde des Kahlenbergerdorfes' auf seiner Homepage.

(c) Manfred Pregartbauer, Mai 2021